interview

interviewer:
2.2a.0. Simone Kaempf
2006-01-23





Udo Klitzke
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Zuletzt war ich Erster Bevollmächtigter, das heißt Geschäftsführer, bei der IG Metall in Braunschweig. Für die nächsten ein - vielleicht sogar zwei - Jahre plane ich als Weltreisender in Afrika und Südamerika unterwegs zu sein.

wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
Das ist zum größten Teil einer studentischen Initiative zu verdanken, die mehr Arbeitsplatzgestaltung in der Ausbildung forderte. Da ich in Braunschweig meine Diplomarbeit zu diesem Thema geschrieben hatte, schlugen mich die Studenten vor, und so bin ich im Wintersemester 75/76 als Assistent von Nick ans ID4 gekommen.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Alles rund ums Thema Arbeitsplatzgestaltung und dazu auch Designtheorie. Habe insgesamt 20 Projekte in Betrieben gemacht, mit Volkswagen, der Post, größeren und kleinen Betrieben. Wir hatten sehr gute Voraussetzungen, das zu realisieren und dabei völlig neue Wege zu gehen. Überregional haben die Projekte große Anerkennung gefunden und letztlich bin ich darüber auch zur IG Metall gekommen. Anfang der 80er wurde in der Frankfurter Abteilung für Arbeitsplatzgestaltung ein ganzer Schwung, etwa 50 Hochschulabsolventen, hauptsächlich Sozialwissenschaftler, eingestellt. Ich leitete ein Projekt zur Entwicklung von Gestaltungsaufgaben für Betriebsräte und war der Einzige, der über verschiedene Gestaltungs-Methoden verfügte. Das hat mich nach vorne gebracht.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Es gab damals das zentrale Programm der Bundesregierung "Humanisierung der Arbeitswelt", in dem es darum ging, die Gestaltung der Arbeitswelt vom 19. ins 20. Jahrhundert zu holen. Das Programm wurde zwischen Regierung, Gewerkschaften und Wirtschaft geschlossen und war einmalig, weil es zum ersten Mal der Wissenschaft über die Betriebswirtschaftslehre hinaus Zugang in die Industrie verschaffte. Das Thema war plötzlich en vogue, überall präsent und gab einen Schub in fast allen wichtigen Fächern, die mit Menschen am Arbeitsplatz zu tun hatten, von der Medizin, Psychologie bis zum Design, das plötzlich gefordert war und durch seine Herangehensweise andere, unkonventionellere Lösungen zu bieten hatte. Heute selbstverständliche Aufgabengebiete wie Arbeitsergonomie waren damals erst rudimentär vorhanden. Bis dato wurde der Mensch als Produktionsfaktor angesehen, aber nicht in seiner Spezifik erfasst. Man hatte ihn vernachlässigt, und das führte zur Krise, weil sich der Mensch dem Druck der Bedingungen nicht mehr beugen wollte. Die 70er Jahre waren eben auch die Zeit, in der sich ein immer größeres Ich-Bewusstsein entwickelte. Durch Bildung und Beruf stellten sich individuelle Arbeitsansprüche, während es zuvor eine Standardisierung gegeben hatte mit Bauhaus, Werkbund und bis in die 60er Jahre mit Normierungen und Standardisierungen als Voraussetzungen für industrielle Produktion.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Viele Studenten kamen über den zweiten Bildungsweg an die Uni und waren im Zuge der 68er-Bewegung beeindruckend politisch engagiert. Das hat sich dann so um 1979 fast schlagartig gewandelt. Die folgende Generation war konsumorientierter, hatte mehr Geld und wollte mit den Arbeitsplatzprojekten nicht mehr viel zu tun haben, war aber durchaus ökobewusst und stark an der Verbesserung der individuellen Basis interessiert. 1981 folgte nochmal ein letztes Projekt zur Arbeitsplatzgestaltung, dann konzentrierte sich alles auf Konsumartikel.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Wenig. Hatte zu Dieter Seitz eine zeit lang Kontakt. Ist dann aber eingeschlafen. Er war der Hauptprotagonist, der mich mitgeholt hat. Dann Peter Martin. Von den späteren Walter Scheiffele. Durch meine Umzüge haben leider viele Kontakte gelitten.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Ich hätte mich dem Bruch 1979/80 klarer stellen sollen und würde andere Themen stärker bearbeiten. Ich hatte es ansatzweise versucht, zusammen mit Peter Martin, der jetzt in Kassel ist. Wir hatten damals gesagt, warum stürzen wir uns nicht auf die aufkommenden neuen Techniken? Wir waren sehr positiv eingestellt, dass man die neuen Techniken als Handwerkszeug nutzen kann fürs Entwurfshandeln. Die zweite Schiene, über die wir nachgedacht hatten, war Design-Management. Ein Beispiel, das mich darin später bestätigt hat: VW. VW hat eine riesige Design-Abteilung, und da muss der Design-Prozess wie ein normaler Auto-Entwurfs-Prozess auf Ingenieursebene ablaufen. Wie kann man diese Prozesse handhaben, dass sie effektiv werden, ohne dass sie ihre Kreativität und das Künstlerische verlieren? Und wie muss man das machen, damit man es nicht willkürlich macht? Das habe ich schon als eine Aufgabe der Lehre angesehen, weil es damals noch wenige Erkenntnisse darüber gab. Wenn wir das entwickelt hätten, wären wir ganz am Anfang der Bewegung dabei gewesen. Für den Fachbereich war das jedoch kein gutes Thema. Viele Professoren bevorzugten das zu retten, was sie schon vorher hatten, bevor aus der Fachschule die Kunst-Akademie wurde. Roericht hat das versucht zu konterkarieren, indem er den ganzen Gestaltungsprozess durchdrang und schaute, was davon lehrbar ist. Lehrbar heißt, dass man es erkannt hat, dass man es durchdrungen hat, ausdrücken und weitergeben kann. Das war der absolut progressive Ansatz von Nick Roericht.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Es gab nicht den offenen Dialog über die Frage: an welchen Bruchpunkten stehen wir heute? Und was heißt das für die Lehre und Forschung? Wobei man nicht vergessen darf, dass eine sehr starke Hochschulgruppe mitbestimmen wollte. So gab es eine Reihe von unangenehmen politischen Auseinandersetzungen, die viele inhaltliche Diskussionen überlagerte. Die Frage des Theorieüberbaus war ideologisiert. Vieles wurde deswegen individuell ausgetragen. Strehl konzentrierte sich zum Beispiel mit Roericht stark auf die Entwurfstechnologien. Ich habe an Nick seinen sehr umfassenden Blick geschätzt, nicht nur zu sagen, ich bin Designer. Zum Beispiel die Stuhle-Projekte für Wilkhahn, wo er sagte, wir machen nicht nur eine Sitzfläche mir vier Beinen, sondern denken den Stuhl von der Funktion des Sitzens. Das war seine wichtigste Eigenschaft gegenüber anderen Lehrenden.

wie hat sich, seit sie lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkzeug verändert?
Das, was ich angenommen hatte, ist dann eingetroffen: neben das handwerkliche Bearbeiten, Skizzieren, Zeichnen ist der Computer getreten. Das ist ein Riesenbruch, der mich nach wie vor interessiert. Wo sind die Grenzen? Wo ergänzt sich beides? Wie muss das zusammen wirken?

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Siehe 9.)

knüpfen sie hoffnungen oder befürchtungen daran?
Das sind alles normale Prozesse. Fiat ist in eine Riesenkrise gekommen, weil sie anhand der gesellschaftlichen Entwicklung dachten, es gebe ein Ende des Designs, und das dann an ihren Autos vernachlässigten. So etwas halte ich für bedrohlich. Bei der Konkurrenz zwischen bestimmten Technologien glaube ich, dass sich ein Weg der Praktikabilität durchsetzt. Man muss das als Hochschule nur aufgreifen und bearbeiten.

wie kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Auf oben genanntes eingehen. Und: Wenn man in einem Designbüro an einem standardisierten Prozess entlang arbeitet, hat man völlig andere Entwurfshandlungen als in einem kleinen Büro, wo man alles machen muss. Man muss schauen, wie man das in der Lehre abdeckt, um den Studenten unterschiedliches Handwerkszeug mitzugeben.

worauf könnten sie leicht verzichten?
Auf das, was mich eine zeitlang auch geprägt hat: die starke ideologische Orientierung. Der Wechsel zur Gewerkschaft war in der Hinsicht wie ein Befreiungsschlag, weil die Ideologie im nachhinein eher lähmend als persönlichkeitsfördernd war. Ich habe mich dann gefragt, wieso kam das nicht schon ein paar Jahre früher? Ich glaube übrigens, dass Nick Roericht auch darunter gelitten hat.