interview

interviewer:
2.2a.0. Simone Kaempf
2006-02-20


protraitbild

Prof. Wolfgang Sattler
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Ich habe damit eigentlich aufgehört, weil in der Öffentlichkeit zu viele ambivalente Meinungen über "den Designer" herrschen. Ich sage stattdessen, dass ich ein Manager des Wandels bin, dass ich mich darum kümmere, positive Energien in Prozesse zu bringen und als Katalysator zu wirken. In meinem Büro mache ich hauptsächlich Interface-Design. Für meine Professur gelten die Erklärungen so natürlich nicht. Hier geht es um inhaltliche Vermittlung von Schwerpunkten des Produkt-Designs. Das muss man differenzierter erklären, bzw. es ist ein kontinuierliches Erklären, welche Rolle man eigentlich spielt, welche Werkzeuge es braucht arbeitsfähig zu sein und welche aktuellen Fragen bearbeitet werden und in Lösungen und Entwürfen umgesetzt werden.

wann und warum wurden Sie ans ID4 berufen?
1980. Ich war noch Student und habe im Büro von Nick Roericht ein Praktikum gemacht. Irgendwann meinte er, ich solle für die Studenten in Berlin eine Aufgabenstellung schreiben. Das habe ich gemacht, er nahm das mit und kam dann zurück und sagte "nochmal eine Aufgabe schreiben und nächstes Mal selber hinfliegen". Damit war ich irgendwie drin und es ging weiter. Nach dem Studium bin ziemlich schnell nach Mailand gegangen und habe dort gearbeitet und war dann bei den Lehraufträgen an der HdK immer ein bisschen der Italiener im Spiel. Ich kam für Lehraufträge in unregelmäßigen Abständen, zehn Jahre lang, zwei bis drei mal im Jahr nach Berlin.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Lehraufträge in Zusammenarbeit mit Andreas Brandolini, der die Projekte betreut hat. Ich war so eine Art "trouble-shooter", ein Design-Agent aus der "Haupstadt" sozusagen. Es ging z.B. um Kassensysteme für Nixdorf , um Eierbecher, um Studien zum "sitzen, warten, konferieren" etc. für Wilkhahn und vieles andere mehr. Leider habe ich dazu wenig Dokus, das wäre interessant zu bekommen...?!!

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Grundsätzlich waren das Jahre, in denen Design - auch in der öffentlichen Wahrnehmung - einen ganz anderen Stellenwert und eine hohe Aufmerksamkeit hatte. Zumindest glaubte man das, und man fühlte sich auch sehr erfolgreich. Das hat wiederum die Arbeitsweise beeinflusst, mit der man aus der Praxis kontinuierlich Fragestellungen für die Lehre generierte. Das war experimenteller, provokanter im Vergleich zur grundlagenlastigen Ausbildung, die an anderen Orten stattfand. Und es waren die hohen Jahre der Postmoderne, die natürlich auch schnell wieder obsolet wurden. Unsere Diskurse waren geprägt von einer Lust auf Theorie und in vielen Ebenen inspiriert vom Merve Verlag, mit den ersten Veröffentlichungen der Poststrukturalisten. Auf die Hochstimmung folgte Ernüchterung, weil die Sache nur auf der Publikationsebene und der theoretischen Debatte als Erfolg wahrgenommen wurde. Die deutsche Design-Community mit den entsprechenden Firmen war eher widerwillig und besorgt. Auf lange Sicht haben die das Ganze ausgesessen - oder missverstanden und echte Katastrophen entwickelt. Ich hatte in Italien mein Büro und arbeitete gleichzeitig für Olivetti und war dabei mit einer Realität konfrontiert, die solche Trends sehr viel professioneller und produktiver umsetzte. Darin ist man dort sehr geschickt. Mittlerweile haben die Italiener aber auch ihre eigenen Schwächen, weil sie zu sehr an ihren Großmeistern hängen und dem Nachwuchs wenig Spielraum überlassen. In den 90ern kam dann der Umbruch, der das Stichwort "neue Sachlichkeit" provozierte. Aber vielerorten folgte eher der Versuch, so zu tun, als wäre nichts.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Das kann ich eigentlich nur im Gegensatz zu den Studenten, mit denen ich heute zu tun habe, sagen. Der Stellenwert des Design führte dazu, dass es sehr unterschiedliche Charaktere unter den Studierenden angezogen hat. Nick Roericht hatte immer schon so etwas wie eine Meisterklasse, das darf man schon so sagen. Die Art zu lehren und zu denken, zog ganz gewisse Leute an. Da wollte man hin, das wollte man auch schaffen, und die eigenständige Gestalter-Persönlichkeit galt natürlich als Karriere-Ziel. Wer studiert heute Design? Ich merke, dass viele Leute, die sich heute experimenteller und theoretisch-wissenschaftlicher ausrichten, in Medienstudiengängen und Transferwissenschaften landen. Genau diese Leute studierten früher Design.

übereinstimungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Das Verhältnis war immer von Verständnis und Vertrauen geprägt. Für mich waren es Bausteine meines Jahresverlaufs in Berlin zu sein, und ich kostete das jedesmal experimentell aus. Andererseits war das Verhältnis aber auch nicht immer ganz konfliktfrei. Was ich an seiner Arbeits- und Denkweise geschätzt habe, war, dass er kontinuierlich Unruhe stiftete und gleichzeitig ein "Design-Ermöglicher" war - gerade in dem Zustand, nie zufrieden zu sein, immer nochmal zu hinterfragen und die Dinge vom Fuß auf den Kopf bzw. umgekehrt, zu stellen. Und noch wichtiger: Er hat es immer geschafft, unterschiedliche, auch aus verschiedenen Disziplinen kommende Leute in Projekten zusammen zu bringen. Auch in seinem Büro wurde an Projekten gearbeitet und mit Leuten von Außen wurde für Inspiration, Qualität oder Irritation gesorgt. Diese Wechselwirkung ergibt ein neues Feld , das Nick glaube ich wirklich wollte. Er hat das dann im Grunde strategisch moderiert. Wen? holt man von wo? für welche? Aufgabe, und spielt das dann in der Wechselwirkung von Praxis, Theorie und Lehre durch.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Zu Brandolini habe ich noch Kontakt, der früher aber viel intensiver war. Jahrelang hatten wir eine Arbeitsebene, haben in Mailand viel gemeinsam gearbeitet und oft meine Wohnung geteilt. Das waren besondere Zeiten, die sich über die Jahre aus persönlichen Situationen heraus verändert haben. Sehr viel zu tun hatte und habe ich mit Nicolai Neubert und Klaus Michel. Viele ehemalige Studenten sind mittlerweile Profs. und deswegen herrscht da ein ganz lustiger, reger Austausch. So traf ich beim Akkreditierungsverfahren für die Einführung des Bachelor/Master in Magdeburg eine alte Bekannte auf Professorenebene wieder.... Das Netz ist weit gezogen. Beispiel: ein überraschend aufgefrischter Kontakt zu Matthew Burger, der 1980 Mitarbeiter im Ulmer Büro war und jetzt als Chairman das Produkt-Design am Pratt-Institute in New York leitet. Mit ihm machen wir zwischen N.Y. und Weimar ein intensives Austausch-Programm.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Mehr nach außen kommunizieren, was man tut. Dieses Denken, diese Methodik, die im Grunde nicht so einfach zu fassen ist, hätte durch die Ergebnisse, die sie produzierte, schon damals eine erweiterte Öffentlichkeit finden sollen. Das war natürlich schwierig, weil wir sehr mit uns beschäftigt waren. Das Ganze hätte es aber verdient gehabt anders abzustrahlen - auch ins Umfeld der Designszene.

wie hat sich, seit sie arbeiten/lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkzeug verändert?
Die banale Antwort wäre, dass es sich mit dem Rechner verändert hat. Aber ich glaube das gar nicht. Verändert haben sich die Arbeitsweisen. Design muss sich grundsätzlich die Frage stellen, wie steht man im Verhältnis zu den Unternehmen und zum wissenschaftlichen Arbeiten? Der Designer muss heute viel mehr mit Strategien und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen klarkommen, und er muss sich mit einem gewachsenen Anforderungsprofil an Wissen auseinandersetzen, das für die Ausbildung eine neue Didaktik erfordert. Nicht: Wieviel Ingenieurwissen muss der Designer verstehen? Sondern: welches Wissen ist für ihn wichtig? Und vor allem welches Wissen braucht der Ingenieur über Design ? Daraus ergeben sich hochinterssante Herausforderungen für die Lehre: was sind diese neuen Basics? Was ist das neue Handwerkszeug? Ziel ist ja nicht, den Computer zu beherrschen, sondern die inhaltlichen Bausteine dessen, was Design als Transferwissenschaft etablieren könnte. Dieses Kerngeschäft hat Design in den letzten Jahren verpennt, und man ist nur in solchen Situationen gut, wo man feststehende Aufgabenstellungen durchdekliniert. Etwas zu einem interdisziplinären Teamprozess beizusteuern, ist aber erheblich mehr ....

knüpfen sie hoffnungen oder befürchtungen daran?
Hoffnung muss man immer haben.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Design ist mittlerweile überall. In den großen Unternehmen ist es ins Zentrum aller Entscheidungsprozesse gerückt. Das macht es für den Designer nicht einfacher, weil er dafür gar nicht ausgebildet ist. Ein neues Denken innerhalb der Designausbildung muss diesem Umstand endlich Rechnung tragen. Ich glaube, die ganzen Designschulen sind irgendwie erstarrt und nehmen sich bietende Chancen zu wenig war.

was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Mit dem Thema Praxis vorsichtig umgehen. Fallstudien sind wichtig, aber man muss die Studenten schützen. Sie müssen weit besser sein als die Praxis. Das Ausbilden hin auf eine Praxis ist bösartig und gefährlich. Die Gestalterpersönlichkeit muss Strategien erlernen, die man langfristig weiterentwickeln und anwenden kann - damit man nicht nur fertige Muster abrollt, sondern sich in Frage stellt, innovativ ist und Wandel einbezieht. Der Reform-Ansatz von Lucius Burkhardt, mit dem die Design-Fakultät in Weimar 1993 gegründet wurde, prägt die Lehre dort bis heute: ein problemorientiertes, interdisziplinäres Projekt-Studium. Offene Ateliers, Eignungsprüfungen, horizontale Durchlässigkeit bei Projektangeboten zwischen den Fakultäten. Disziplinität entwickeln um interdisziplinär zu vernetzen. Auf keinen Fall in der eigenen Soße köcheln.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Man könnte auf vieles verzichten. Neben dem allgemein mangelnden Respekt der Menschen im Umgang miteinander könnte ich im Moment gerade auf das Nervtötende der Gremien-Universität verzichten. Und: auch das Design braucht mehr Klinsmänner, anstatt überall alte Funktionäre und langweilige Blockwarte....