interview

interviewer:
2.2a.0. Simone Kaempf
2006-02-08


protraitbild

Manfred Zorn-Zimmermann
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Mein Interesse gilt sozialwissenschaftlichen Aspekten im Tätigkeitsfeld des Design. In meinen Lehrveranstaltungen ging es u.a. darum, den Stellenwert dieser Aspekte durch Diskussion zu verifizieren.

wann und warum wurden Sie ans ID4 berufen?
Wenn ich mich recht erinnere war das 1972/73, als es noch den vormals von Braun-Feldweg besetzten Design-Lehrstuhl bei der HfBK-Architektur gab. Nach meiner vorangehenden Berufstätigkeit als Industrie-Designer suchte ich Finanzierungs-Quellen für mein Aufbau-Studium, das ich teilweise in Ulm absolvierte. Über Lehraufträge konnte ich die sozialwissenschaftlichen Ambitionen verfolgen, wobei ich schon vor der Tätigkeit an der HfbK an der Folkwangschule in Essen tätig war.

welche aufgaben haben sie am ID4 übernommen?
Als Lehrbeauftragter bot ich zunächst das Thema Produkt-Planung an, weil ich damit beruflich bereits Erfahrungen gesammelt hatte.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Die Politisierung der Studenten beeinflusste den Lehrbetrieb sehr stark. Bei den Diskussionen um die Projekt-Themen standen Projekte zur Arbeitsplatzgestaltung im Vordergrund. Ich versuchte, die von W. F. Haug aus der politischen Ökonomie abgeleitete Warenästhetik mit Produkt- und Projekt-Planung zu verbinden. Es gab auch ein Projekt zum Thema Warentest. Das vertrug sich alles ganz gut mit dem designtheoretischen Ansatz des Funktionalismus. Der Paradigmen-Wechsel zu einer sensualistischen Design-Auffassung (Stichwort "Memphis") beendete dann die Dominanz des Funktionalismus ziemlich abrupt, Gleichzeitig erlahmte sowohl das Interesse an politischer Ökonomie als auch an Planungs-Methodik. Bezüglich der Planungs-Methodik wurde deutlich, dass sie nicht die Erwartungen erfüllen konnte, die man in sie gesetzt hatte.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Beeindruckt hat mich beispielsweise das Problem-Bewusstsein der Studenten in der Zeit der ökologischen Wende. Bei mir selbst entwickelte sich das Interesse daran unter dem Einfluss eigener gesundheitlicher Probleme. Die Studenten haben sich mit Ökologie nicht unbedingt aus unmittelbarerer Betroffenheit heraus beschäftigt, auch nicht unter dem Einfluss politischer Agitation wie in der 68-er Zeit, sondern aus quasi uneigennütziger Einsicht in die gesellschaftliche Bedeutung dieser Thematik. Andererseits haben die Studenten natürlich auch gestreikt, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Wenn man sich die ID4-Projektliste anschaut, gibt es praktisch keine gesellschaftliche Strömung, keine Bewegung, keinen Trend, der Nick Roericht nicht zu Design-Projekten inspiriert hätte. Beispielsweise die Vor-Ort-Projekte mit der Einbeziehung der Benutzer in den Gestaltungs-Prozess, die 3M-Projekte mit einer Art von hierarchischen Projekt-Teams. Oder die Projekte mit Design-Dienstleistung-Experimenten. Das fand ich alles sehr anregend. Allerdings sehe ich auch die Kehrseite dieser Vielseitigkeit. Sie liegt in Beliebigkeit und Willkür und führt zu Unklarheit darüber, was denn nun eigentlich Sache ist im Design. Diese generalistische Auffassung hat die Konsequenz eines professionellen Dilettantismus, wo man alles und nichts machen kann. Ich denke, dass das in der Ausbildung eher Verwirrung als Klärung stiftete. Da finde ich die Auffassung von Udo Koppelmann hilfreicher. Er nimmt - vom Marketing her kommend – eine klar umrissene Bestimmung der beruflichen Zuständigkeit des Designers vor.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Nach dem Ausscheiden aus der aktiven Lehrtätigkeit bewegen sich meine Kontakte zu den verschiedenen Gruppen des Fachbereichs im Rahmen des Alumni-Programms.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Obwohl die aus der politischen Ökonomie hergeleitete Waren-Ästhetik viel zur theoretischen Erhellung der Tätigkeit des Designers beiträgt, wäre es bereits in der Zeit nach 68 realistischer gewesen, sich schwerpunktmäßig mehr am Marketing zu orientieren. Es gibt weitgehende Überschneidungen im Tätigkeitsfeld von Design und Marketing. Der Unterschied ist: im Marketing geht es um Konsum, im Design dagegen um Gebrauch; seien es nun Gebrauchs-Gegenstände oder Gebrauchs-Prozesse im Sinne von Dienstleistungen. Den Dienstleistungs-Gesichtspunkt würde ich heute stärker betonen. Das bedeutet für mich aber nicht, dass es das Design im herkömmlichen Sinne gar nicht mehr gibt, wie Roericht meint. Auch die Informations-Technologie hat nicht zu einem Verschwinden des Designs geführt, wohl aber zu einer weiteren interdisziplinären Komponente innerhalb des Design-Kompetenz-Feldes. Aber die Kern-Kompetenz im Design liegt nach wie vor in einer dem Menschen zuträglichen Gestaltung von Gebrauchs-Prozessen.

wie hat sich, seit sie lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkzeug verändert?
Die Informations-Technologie hat Routine-Tätigkeiten im Entwurfsprozess wesentlich vereinfacht. Die damit hinfällig gewordene handwerkliche Betätigung muß aber als Verlust verbucht werden. Und zwar deshalb, weil die Betätigung der Hand eine kreative Stimulation des Gehirns mit sich bringt. Auf Grund dieser Erkenntnisse der Gehirn-Forschung halte ich es nicht für sinnvoll, ausschließlich am Computer zu entwerfen. Es wäre sinnvoll, sowohl zwei- als auch dreidimensionale handwerkliche Techniken weiterhin im Entwurfsprozess zu praktizieren, auch wenn dies vordergründig nicht rationell zu sein scheint.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Werner Aisslinger, ein Schüler von Roericht meint, dass immer mehr Design-Aufträge an Trendforscher gehen und Designer das Nachsehen haben. Sollte deshalb der Designer zum Trendforscher mutieren? Ich sehe da keinen Anlass für eine Mutation hinsichtlich der Kernkompetenz des Designers. Aber wenn sich Trendforscher Übergriffe in Design-Zuständigkeits-Bereiche erlauben, dann müssten Designer sich eben auch Trendforschungs-Kompetenzen aneignen. Die Auftraggeber trauen einem Trendforscher allem Anschein nach zu, auch die zu einem Trend passenden Gestaltungs-Konzepte zu entwickeln; aber man will den Designer nicht mit den vorangehenden sozialwissenschaftlichen Trend-Analysen beauftragen. Auch in Roerichts Ansatz eines "konzeptionellen Designs" sind derartige sozialwissenschaftliche Kompetenzen offenbar nicht vorgesehen. Ich halte diesen Ansatz aber trotzdem für tragfähig, sofern die entsprechenden Kompetenz-Erweiterungen eingebaut werden. Außerdem scheint mir - insbesondere für Hochschul-Absolventen - eine Erweiterung in Richtung Design-Management wünschenswert.

knüpfen sie hoffnungen oder befürchtungen daran?
Der marktwirtschaftliche Konkurrenz-Druck hat zur Folge, dass sich die Produkte innerhalb eines Markt-Segments technologisch immer mehr angleichen. Das wiederum führt zu Uniformierung und Egalisierung und damit zu einem Verlust von Markt-Vorteilen. Die Konkurrenz untergräbt ihre eigenen Voraussetzungen; sie lebt schließlich nicht von der Gleichheit, sondern von der Differenz. Einen Ausweg aus diesem Dilemma kann man - mit Koppelmann - vom Design erhoffen: Differenzierung von technologisch angeglichenen Produkten durch Variation der gestalterischen Anmutungs-Wirkung; Design-Innovationen als Hoffnungsträger und - etwas überzogen - als Retter der freien Marktwirtschaft!? Zu befürchten ist allerdings, dass sich auch der Wettbewerbs-Vorteil durch Design-Innovationen im Zuge der Globalisierung international angleicht und damit an wirtschaftlicher Zugkraft verliert.

was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Wie bereits gesagt, halte ich eine interdisziplinäre Ausrichtung und die Vermittlung sozialwissenschaftlicher Kenntnisse in der Design-Ausbildung für angezeigt. Der Designer muss in der Lage sein, über sein eigenes gesellschaftliches Herkunfts-Milieu hinaus zu sehen. Er muss die "feinen Unterschiede" (P. Bourdieu) zwischen den gesellschaftlichen Gruppen auch über soziale Distanzen hinweg und über seine eigenen Szene-Bindungen hinaus erkennen und daraus gestalterische Schlüsse ziehen.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Ich würde liebend gern auf Bürokratie verzichten, sehe aber leider nicht, wie das mit Leichtigkeit anzustellen ist. Jedoch schätze ich den Computer als Vereinfacher von Bürokratie. Dabei will ich nicht unerwähnt lassen, dass ich erste Erfahrungen mit Computern an den von Roericht am Fachbereich angeschafften Macintosh-Geräten machte.