interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-08-16





Fax Qintus
wie würden Sie jemand anderem ihren job erklären?
Tim Brauns, Hendrik Gackstatter und ich haben ein Designbüro: e27. Das Spezielle an e27 ist, dass wir mit einer zweiten Firma für Möbelproduktion unsere eigenen Designentwürfe realisieren und verkaufen. Wir haben relativ früh angefangen, eigene Produkte produzieren zu lassen. Die Verwertungsfirma ist dann im Jahr 2005 dazugekommen und bedeutet: wenn man die Entscheidung des Produzenten selbst in der Hand hält, kann man auch anders damit umgehen und selber entscheiden, ob ein Entwurf realisiert oder nicht realisiert wird, in welcher Art und Weise er realisiert wird usw. Da öffnet sich ein Handlungsspielraum, und insgesamt ist das schon eine Sache, die in der Ausbildung am ID4 mitbegründet liegt: als erweitertes Berufsbild des Designers, der in Prozesse eingreift und Dinge übernimmt, die der klassische Designer nicht macht. Und in der Realisierung des alten sozialistischen Ansatzes: der Vision der Übernahme der Produktionsmittel.

wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
Der erste Teil der Frage müsste lauten, wie der Modellstudiengang zustande kam. Als wir Anfang der 90er Jahre studierten, gab es den integrativen Modellstudiengang fast schon zehn Jahre. Ziel war damals bereits, das Schulische der Kunsthochschule aufzulösen. Es ist leichter für einen Studenten zu verstehen, was er da lernt, wenn er es in ein Projekt integriert aufnimmt. Integrativer Studiengang hieß also im Prinzip nichts anderes als: Projekte machen und innerhalb eines Projekts - Kurzzeitprojekte von meistens einer Woche Dauer - die Fächergruppen via Praxis vermittelt zu bekommen und zu begreifen, wie alles zusammen wirkt. Zunächst wurde das am Konzept der Flying Teachers durchgeführt. Die Lehrenden sind aus der ganzen Welt nach Berlin gekommen, auf dass die Studenten unterschiedliche Erfahrungen von unterschiedlichen Designern mitbekommen. Der Schritt zu den Flying Students und den Transiteuren hatte dann mehrere Ursachen. Nick Roericht hatte sich aufgeregt, wie groß mein Unwissen über Designliteratur ist und fragte sich, was seine Lehre überhaupt bringt, ob man seine Lehre überhaupt versteht, was überhaupt mitgenommen wird oder ob er gar eine riesige Hochstaplerschule aufgezogen hat, wie er es ausgedrückte. Da fing die Diskussion an. Wir hatten e27 bereits in der Hochschule gegründet, so dass wir schon während der HdK-Zeit Erfahrungen sammeln konnten zu sehen, ob es funktioniert, was wir gelernt hatten, und was fehlt uns noch. Daraus zettelte jemand die Diskussion an, was ist gut dran und was ist schlecht dran. Das Ergebnis war, dass eigentlich nur ein Puzzlestein, und zwar Praxis, fehlte. Dann kam dazu, dass der Etat der damaligen HdK wesentlich geringer wurde als in den Jahren zuvor und man sich überlegen musste, wie man das Konzept des Modellstudiengangs fortführt mit den begrenzten Mitteln. Da konnte sich dann eigentlich jeder denken, dass das Reisen der Lehrenden nicht mehr finanzierbar war - aber finanzierbar blieb, die Studenten in Büros zu schicken, nicht mit dem Status eines Praktikanten, sondern mit dem eines Studenten.

welche Aufgaben haben sie dort übernommen?
Die Studenten bekamen in unserem Büro Aufgaben, die für sie speziell aufbereitet wurden. Dadurch konnten sie einerseits sehen, wie arbeiten diese Büros, andererseits bearbeiteten sie Fragestellungen, die im normalen Büroalltag so konzentriert und experimentell nicht vorkommen. Fragen, die uns auch lange schon interessiert haben, wie: Was passiert zum Beispiel, wenn ich einen Kontext aufblase? Als Büro hat das den Vorteil, ein irrsinniges Feedback an Lösungen zu bekommen. Die Studenten lernten erstens die Sache mit Eigeninteresse zu beurteilen und den Bezug zur Praxis zu sehen. Von normalen Praktikanten unterschieden sich die ID4-Studenten erheblich. Praktikanten werden normalerweise in laufende Projekte eingebunden und beginnen mit dem Einscannen von Bildern oder dem Bauen von Modellen. Ein Projekt, das von uns bzw. Roericht freigegeben wurde, musste bestimmte Lehrinhalte abdecken, mit höheren und abgeschlosseneren Fragestellungen als im laufenden Projektgeschäft. Innerhalb der zwei Semester hat sich die Komplexität der Aufgaben verändert. Das heißt, am Anfang mussten auch wir erstmal rausbekommen, was der erste Jahrgang, also die Flying Students, mitgenommen hat. Bei den Transiteuren, dem zweiten Studenten-Jahrgang, haben wir den Gedanken der Erdung nochmal verändert. Wir haben dann Projekte gemacht, die mehr Geduld erforderten, die die Studenten ein bisschen auf den Boden der Tatsachen runtergebracht haben: mehr Modellbau oder Aufgaben, die nicht gleich der große Wurf waren. Bei den Flyings ging es sehr viel mehr um Strategien, Organisation, Konzepte, bei den Transiteuren ging es dann schon wieder mehr um die Substanz des Produktdesigns. Bei den Flyings haben wir gesagt: ihr könnt das, legt mal los. Bei den Transiteuren haben wir dann schon mehr gesagt, ihr müsst das etwas lernen, um die Sache zu können, setzt euch hin und macht erst mal das.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Für uns waren das natürlich nette und erfahrungsreiche Jahre. Angefangen damit, wie zum Beispiel Gruppen funktionieren, weil man wirklich zwei Jahr lang Gruppen von zehn, zwölf Studenten begleitet hat. Dass es die stärkeren und die schwächeren Studenten in einer Gruppe gibt, aber die Schwächeren braucht es auch, und wie bringt man sie dazu, stärker zu werden. Allein davon nimmt man ziemlich viel mit. Solche Fragen haben allerdings auch viel Gesamtkraft absorbiert. Für die Agentur war das eine positive wie schwierige Zeit, weil wir uns schon sehr in die Sache reingestürzt haben. Wir wollten ihnen schließlich etwas mitgeben, wie Kindern, was das Verhältnis von Roericht zu seinen Studenten für uns nachvollziehbarer machte. Als wir selbst als Studenten bei ID4 angefangen haben, gab es so ein großes Poster, auf dem stand, die Profession des Industrie-Designers existiert nicht mehr. Es wurde fast nicht oder nur marginal über Form gesprochen, es ging sehr viel mehr um Konzepte und Strategien. Wie kann ich etwas realisieren? Wenn man eine Lösung gefunden hat, war es immer eine Neuerfindung, man konnte nie etwas so machen, wie es normalerweise gemacht wird, das ging bis zu den Dokumentationen, die kein normales Heft waren, sondern etwas Spezielles. Ein Ansatz, der bis heute in unser Design einfließt, und das haben wir natürlich auch den Flyings und Transiteuren mitgegeben. Bis hin zu dem Ansatz, mit dem Kunden zu klären, ob die Fragestellung nicht verkehrt ist, ob man sie umdrehen müsste - die Suche nach dem Grund. Und dass die eigentliche Gestaltungsfrage kommt, nachdem die konzeptionelle Sache gemacht ist.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
In der Zeit hat, vor allem für die Flying students, das Wort "unmöglich" nicht existiert. Das waren die Jahre, als ein unglaublicher Technik- und Internetoptimismus geherrscht hat. Man wollte die Dinge anders machen und egal, was wir angehen, wir schaffen das - was in den Projekten wahnsinnig gut klappte: Dass die Studenten eine Aufgabe annehmen und relativ große Räder bewegen, wie man es für Studenten noch gar nicht für möglich hält.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Der Ablauf des Organisatorischen ist mit ihm so eine eigene Sache. Das waren die Hauptreibungspunkte. Vom Inhaltlichen waren wir relativ übereinstimmend, wir standen auch ständig im Diskurs darüber.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Die Transiteure waren schon die verbesserte Form, die Erfahrung des ersten Jahres war verarbeitet. Sehr viel anders würden wir das nicht machen. Für den ersten Jahrgang war es natürlich toll, es ist immer toll, wenn man so raufgeputscht wird auf das "Wir können alles machen". Wenn ich heute daran denke, wird es mir schwindelig, mit welch geringen Erfahrungen wir Projekte in dieser Größenordnung gemacht haben und den Leuten solche mentale Unverletzlichkeit mitgeben konnten.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Einige der Flyings und Transiteure haben bei uns im Büro gearbeitet, Wiebke Fleischer zum Beispiel war länger bei uns, Oliver Deichmann und Blasius Osko, also die beiden Wunschforscher, insgesamt waren es bestimmt fünfzehn Leute. Ansonsten gibt es immer Kontakte. Die innere Designszene Berlins ist erstaunlicherweise doch recht klein, obwohl es hier so viele Designer gibt. Ein Kreis, den man immer wieder auf dem Designmai oder anderen Design-Veranstaltungen wiedertrifft. Dann sind da natürlich noch die anderen: Werner Aisslinger, natürlich Vogt + Weizenegger, mit denen wir die Flyings und Transiteure zusammen betreut haben. Und unser ehemaliger Gesellschafter Marc Mielau natürlich. Früher war es noch eine klarere Unterteilung in ID4 und Nicht-ID4-Leute. Mit der Zeit verschwimmt es, mit wem wir Projekte machen.

wie hat sich, seit sie lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkzeug verändert?
Schon lange hat der Gestalter nicht mehr zuhause seine Materialien-Bibliothek, aus der er Objekte macht. Die Suche sieht anders aus. Man schöpft aus allen Bereichen. Das ist eigentlich auch das Spannende an dieser Arbeit, dass man mit irgendwelchen Dingen konfrontiert ist, oder darauf stößt, oder Prozesse, Lösungen, Funktionsprinzipien sieht und die irgendwie miteinander kombiniert.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Es ist tatsächlich so, dass dieses Schaffen von Produkten im weitesten Sinne - Produkte können auch Konzepte sein - dass dieses nicht das Produkt an sich ist, sondern dass man sich überlegt, wie funktioniert es im Kontext, was muss ich dazu tun, muss ich hingehen und es erklären, also ein Beratungsaspekt, was spielt alles mit, was für Auswirkungen hat auch die Sache auf den Außenraum - man denkt schon sehr viel mehr über die Kontexte nach. Und dementsprechend wird das Ausgangsprodukt immer wichtiger.

Knüpfen Sie daran Hoffnungen oder Befürchtungen?
Die Berufsbilder entwickeln sich weiter, und wir entwickeln nun mal das Berufsbild des Designers weiter. Hoffnung hat man normalerweise dann, wenn etwas schlecht ist und wenn es besser werden soll. Ich würde sagen, das ist eine Weiterentwicklung, die logisch und notwendig ist.

Was kann man tun, um Designer nicht nur für heute, sondern auch für die nächsten Jahrzehnte ihres Berufslebens auszubilden?
Ich denke mir, dass die Breite der Design-Ausbildung gar nicht groß genug sein kann, dass man ständig überlegen muss, welche Bereiche mit reinspielen können. Vermutlich wird immer wichtiger, die Leute kurzfristig hinzu zuziehen. Weil es immer unmöglicher wird, jemanden über die Jahre hinweg in der Ausbildung stationär auf dem Laufenden zu halten, weil die Entwicklungen so schnell stattfinden, dass neue Bereiche dazu kommen, während andere unwichtiger werden, dass sozusagen die stationäre Design-Ausbildung immer unmöglicher wird. Im Moment lehre ich selbst nicht. Tim Brauns ist in Bozen an der freien Hochschule und damit ist unsere Kapazität für Lehrtätigkeit auch erschöpft.

Worauf können Sie leicht verzichten?
Auf Design, das nur dazu da ist, zu kommunizieren, dass es da ist, ohne dabei intelligent zu sein.