interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-07-17





Prof. Petra Kellner
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Ich unterrichte an der Hochschule für Gestaltung Offenbach in einem Fachbereich, der sich nach wie vor "Produktgestaltung" nennt. Deshalb ist der Begriff in Offenbach noch sehr gegenwartsfähig. Ich habe vor allem Lehrveranstaltungen im Grundstudium, dort werden die Weichen gestellt, das wollte ich unbedingt machen. Hochmotivierte Studenten mit unterschiedlichem Hintergrund sollen, und das ist auch mein Interesse, möglichst schnell von ihrer Objektfixierung befreit werden und sich einen neuen, erweiterten Blick auf die Dinge zulegen. Ziel ist die Sensibilisierung für die materiellen und immateriellen Aspekte, für die Qualität von Handlungen, von Serviceleistungen usw. Design oder Gestaltung hat ja immer auch mit Verbesserung oder dem Erreichen einer höheren Qualität zu tun. Meine Aufgabe sehe ich vor allem darin, Studierende dabei zu unterstützen, die richtigen Fragen zu stellen, bzw. sich nicht zu schnell, ohne kritisch zu hinterfragen, mit einer vorgegebenen Fragestellung zufrieden zu geben. Ein zweiter Aspekt ist für mich das Erkennen und Verstärken der individuellen Fähigkeiten der Studenten. Es sollen am Schluss des Studiums nicht alle gleich sein. In unserem überschaubaren Fachbereich können wir es leisten und es uns leisten, Individuen zu fördern.

wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
Ich kannte Nick Roerichts ersten Praktikanten, meinen jetzigen Mann, also eine lange Geschichte. Als ich ihn zum ersten Mal aus dem Büro abholte, war ich wie vom Donner gerührt über die Welt dort, die ich so noch nicht kannte. Ich habe alle anderen Berufs-Pläne dann verworfen, bei Gugelot Design in Ulm ein Praktikum gemacht und 1973 in Braunschweig angefangen Design zu studieren, in demselben Jahr, als Roericht an die HdK ging. In Braunschweig hatte man mit Berlin wenig zu tun und umgekehrt. Aber wir haben uns in Ulm getroffen, und Roericht war natürlich interessiert, wie es an anderen Schulen zugeht. Nach dem Studium war ich ein Jahr lang Stipendiatin in Rio de Janeiro, und nach der Rückkehr war für mich entscheidend, dass ich im Ulmer Büro zunächst an Readern gearbeitet habe zu den Themen Methoden und Farbe.

welche aufgaben haben sie übernommen?
Im Zusammenhang mit den Readern habe ich in Berlin mehrere Workshops gemacht: meine ersten Gehversuche, noch nichts Sensationelles, haben sich stark an diesen Lehreinheiten ausgerichtet. Ende der 80er dann nochmal ein Kompaktseminar, wo es schon um die Farbtextur für Oberfläche ging mit kleineren Experimenten, die sich mit Oberfläche, Materialisierung und Farbe auseinander gesetzt haben. Und es ging natürlich um die spannende Tatsache, dass in der Gestaltung und im Design Farbe immer an Material gebunden ist und das die Wirkung entscheidend beeinflusst. Z. B. hat Reinhard Ludwig einen Studenten auch unterstützt, die Geräusche von Oberflächen hörbar zu machen. Ein anderer hat sich philosophisch fast verrannt in der Frage, welche Grenze hat eine Wolke? Das war ganz breit angelegt und in dem Prozess spannend, wobei daraus aber nichts Nachhaltiges entstanden ist. Wichtiger als die Kompaktworkshops war letztlich die Arbeit mit den Studenten im Ulmer Büro. Ich war sowas wie die Schnittstelle zwischen Roericht, dem Büro, Martin Rissler und der jeweiligen Gruppe von ID4 Studenten, die zur Exkursion anreiste. Der enge Austausch vom Ulmer Büro und der Berliner Szene war für mich das Tollste an dieser Zeit. Immer neue Projektgruppen kamen in wechselnder Zusammensetzung. Man kannte einige Studenten bereits, wusste, wer für welches Projekt besonders gut geeignet ist. Wer nur für eine Woche nach Ulm kam, konnte sich gut darauf einlassen, an diesem klösterlichen, vom Himmel gefallenen Ort zu sein, wo man dann in einer extrem verdichteten Arbeits- und zwischenmenschlichen Extremsituation wahnsinnig viel geschafft hat. Das war für viele auch ein euphorisches Erlebnis, das man aus dem normalen Leben nicht kannte. Sowas klappt nur, wenn die Rahmenbedingungen optimal sind. Ganz viele Kleinigkeiten wurden im Laufe der Jahre perfektioniert, und es war einfach auch immer ein schöner Aufenthalt, trotz der vielen Arbeit. Das muss man sagen, es gab weder Wochenende noch Abend oder so. Das war häufig wie Durchmachen.

Was fällt ihnen zu der Zeit und zu den Umständen noch ein?
Jede Routine war verpönt. Es ging immer wieder ums Öffnen und neu entdecken, neue Nischen finden, die weit weg von klassischen Design-Vorstellungen auf der nächsten Schaltkreisebene lagen. Am schlimmsten war es, wenn man meinte, ach, jetzt wissen wir, wie es geht und jetzt macht man es wieder genau so. Es musste immer wieder neu angefangen werden.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Die Roericht-Studenten, die ich in den Jahren erlebt habe, waren im Grunde genommen sehr ähnlich. Eine erstaunliche Kontinuität angesichts des langen Zeitraums. Es haben sich ein paar Werkzeuge verändert, es ist mehr digitalisiert und die Cross-Geschichten sind stärker offizialisiert. Aber vom Denken her gab es vom Anfang an eine Prägung, die bis heute ihre Gültigkeit hat. Die Infragestellung des klassischen Berufsbilds war ein Ausgangspunkt von Roerichts Lehre, und es gibt Schulen, die bis heute noch nicht soweit sind.

übereinstimmungen, inspirationen und reibungen an nick roerichts position?
Aus langjähriger Erfahrung gesprochen: es war letztlich immer was dran, wenn er genörgelt hat. In dem Moment wollte man das natürlich nicht sehen. Im Nachhinein hat es aber dann schon gestimmt. Da hat er Super-Sensoren, auch wenn es sich ungerecht und schrecklich artikuliert anhörte, dass viele die Krise bekommen haben. Sein beliebtester Spruch lautete einen Tag vor der Präsentation: alles abbrechen. Oder die Ungeduld, wenn an der Umsetzung gearbeitet wurde und bereits zuviel unwiderruflich festgelegt war. Dann hagelte es Kritik, während man im Schluss-Stress versuchte, was fertig zu machen, was die Kunden am nächsten Tag auch so erwartet haben. Aber: das war ein Rollenspiel, mit dem man klar kommen konnte, an das man sich gewöhnte, und es gab ja wechselseitig diesen großen Mut zur Durchsetzung, den er ausstrahlte. Irgendwann war mir das vertraut. Aber wer neu in die Situationen kam, hat schon mal gelitten oder, schlimmer noch, alles persönlich genommen. Und so war das nie gemeint.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Der intensivste Kontakt seit vielen Jahren mit Gisela Kasten. Dann Sibille Riemann, Marcella Quijano, Burkhard Schmitz, Claudia und Carola - wir hören nur selten voneinander, aber man kann sofort, wenn man sich begegnet, anknüpfen, wo man das letzte Mal aufgehört hat. Dafür haben wir lange genug viel miteinander gemacht. Immer, wenn ich jemanden treffe oder in Berlin bin, merkt man, was für eine inhaltliche Verbindung existiert. Und kürzlich habe ich Oliver Vogt und Hermann Weizenegger in ihrer Marta-Ausstellung in Herford besucht, und die haben dann meine Offenbacher Studenten empfangen.

haben sie etwas in ihren arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
Mein Lieblingsthema Mapping natürlich. Dann Pattern-Language von Christopher Alexander, der zeigt, dass Qualität entsteht, wenn Mehreres zusammen spielt. Als Methode schon in den 60er Jahre publik geworden, ist seine Lehre aktueller denn je. Auslöser für meine Auseinandersetzung mit Farbe war Roericht. Ich habe nirgendwo so ein tolles Farbarchiv und soviel Anschauliches zum Thema Farbe gesehen wie in Ulm. Die Prägung ganz im Sinne von Glanz und Elend, weil der Einsatz von Farbe die billigste Marketingmaßnahme sein kann, eine einfache Art irgendetwas zu aktualisieren oder aufzupeppen, und auf der anderen Seite die Subsidität und das Potential von Farbe als eigene Ausdruckskraft. Ich erinnere mich, dass Roericht in einem Jahr in Korea war und wir Mitarbeiter selbst die Farben für den Jahreskalender festlegen durften bzw. mussten. Unsere wurden eigentlich zu brav. Seitdem beobachte ich jedes Jahr, wie virtuos er mit den Kontrasten umgeht, ein unglaublicher Farb- und Augenmensch. Dass ich meine Aufgabe im Grundstudium auch darin sehe, den Studenten zu den richten Fragen zu verhelfen, ist schon "Roericht-geprägt". Diese Unterforderung zu knacken, die so oft bei gegebenen Aufgabenstellungen deutlich wird. Sonst hat es gar keinen Zweck, sich darüber Gedanken zu machen. Das wissen die Studenten nicht, wenn sie kommen. Das muss ihnen als Impuls mitgegeben werden und dann wird das ein Selbstläufer.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Genauso war es richtig. Man verklärt vielleicht auch ein bisschen. Und ganz Schreckliches verdrängt und vergisst man auch. Ich möchte gar nicht wissen, was wäre, wenn ich das nicht erlebt hätte in dem Ulmer Büro, wirklich. Die erweiterte Wahrnehmung und diese Impulse hätte ich nicht mitbekommen. Das war schon sehr gut. Aber das sagen wahrscheinlich viele oder alle, oder? Er hat etwas ausgelöst, was vorher kein anderer ausgelöst hat, da hält man auch die paar anderen Sachen aus. Das hat sich dann für viele wieder ausgeglichen, weil man wahnsinnig davon profitiert hat.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Die Digitalisierung ist weiter fortgeschritten. Vernetzung, so elegant, wie man es sich besser gar nicht wünschen und nie erträumen konnte. Die Übergänge zu anderen Disziplinen sind fließend. Im Grunde genommen ist das ein ganz ganz privilegiertes Tätigkeitsfeld, weil: es geht nach wie vor um die Ausgangssituation, dass Kopf und Hand gleichzeitig und gleichwertig zu nutzen sind. Gestaltung ist eine Frage des Denkens, eine Frage von Haltung, Utopien und Visionen. Und wer sich auf der Ebene bewegt, der hat immer etwas zu tun und zu beobachten. Ich denke, es ist eigentlich ein hervorragende Grundkonditionierung, und von daher sehe ich keine Krise. Krise kann es werden, wenn man sich nur auf der Marketing-Ebene bewegt. Es ändern sich Rahmenbedingungen und Spielregeln, Globalisierung usw. Man muss da immer wieder sehen, wie kann man das Berufsfeld weiten. Und ich finde, es hat sich wunderbar geweitet, weil es sowohl dieses Analog-Digital-Thema, Interface-Thema und letztendlich die Übergänge zu anderen Disziplinen gibt, in denen Nischengänger und Spurensucher tätig sind. Das, was Roericht immer angeregt hat. Dass das alte Berufsfeld zusammen kracht war längst überfällig.

wie hat sich, seit sie lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkzeug verändert?
Damit wird man heute in ganz neuer Weise konfrontiert und zwar in Verbindung mit der Frage nach neuen Materialien. Die Strukturen und die Entstehung von Form wird im Rechner simuliert, und dabei kann man auch die Materialität mit neuen Eigenschaften ausstatten. Oder nehmen wird die Bionik, die im Grunde nochmal eine andere Intelligenz aufweist. Die Simulation wird durch Prozesse im Rechner bestimmt, die außen auf der Hülle nicht mehr sichtbar werden. Das sind adaptive Spezialanpassungen an reaktiven Oberflächen, die auf einer anderen Ebene in der Produktentwicklung ein Aufgabenfeld für Designer sind, zum Beispiel in der Erfindung neuer Materialien. Wir haben in Offenbach einen neuen Kollegen aus der Architektur, der in der Frage der Visualisierung und parametrischen Bestimmung von Strukturen schon einen anderen Erfahrungshintergrund hat. Jetzt versucht man den Prozess auf Gestaltungs- oder Designprojekte zu übertragen. Die Neuberufung ist bei uns mit dem guten Gefühl erfolgt, dass man sich auf dem Arbeitsfeld profilieren kann.

Was kann man tun, um Designer nicht nur für heute sondern für die nächsten Jahrzehnte auszubilden?
Als allererstes muss man die Person stärken. Da kommt jemand, der will was und der hat ein Potenzial, sonst hätten wir ihn nach der Aufnahmeprüfung nicht ausgewählt. Wenn man das ernst nimmt, das geht wie gesagt bei diesen überschaubaren Fachbereichen - wir nehmen 20 bis 25 Leute im Jahr auf - dann kann man sich da auch leisten, gemeinsam die individuellen Stärken rauszufinden. Am Ende können ganz unterschiedliche Bereiche herauskommen, aber es muss stimmig sein und zur Person passen. Und dann erkennen sie selbst ihre Chancen, überwinden auch mal eine Durststrecke und stehen bei ihrer Diplompräsentation nicht da wie ein Waschmittelverkäufer, der sich eine fremde Rhetorik angeeignet hat, sondern man merkt, da hat jemand was gemacht, was er spannend findet, sich reingelebt, ist einen Weg gegangen, zu einem Ergebnis gekommen und ist stolz auf das, was er da gemacht hat. Deswegen ist bei uns eine große Bandbreite möglich. Ich sehe genau das als Stärke, denn in diesem Nebeneinander sehen die Studierenden selbst, wie breit das Feld ist. Wenn es mal zu eng angelegt ist, sind alle blitzschnell weg. Das reicht schon, wenn es einer macht und die anderen befinden sich in seinem Schatten. An der HfG Offenbach müssen die Studenten durch ein extrem verschultes Pflichtprogramm. Bis zum vierten Semester gibt es gar nichts zu wählen. Da muss man durch und sich darauf verlassen, dass wir uns was dabei gedacht haben. Und dann kommt aber wirklich die Frage, wo soll es jetzt lang gehen? Bis dahin müssen sie sich damit auseinander setzen, und wir begleiten das als Mentoren, die stärken oder kritisch hinterfragen. Durch die Studienreform ermöglichte sich ein kontrollierter Übergang in die anderen Bereiche. Weil man ja auch nicht möchte, dass sich jemand verrennt und zum Schluss einen Gemischtwarenladen hat, der an keiner Stelle eine Tiefe hat. Wir sind die einzige Kunsthochschule mit diesem Profil in Hessen, und damit bin ich eigentlich ganz zufrieden. Den zehnsemestrigen Studiengang behalten wir auf jeden Fall bis 2010. Vielleicht haben dann andere schon so katastrophale Erfahrungen mit ihren Bachelor gemacht, das wir das nicht mehr machen müssen.

Worauf könnten sie leicht verzichten?
Ich würde mir wünschen, auf mehr verzichten zu können, als ich tatsächlich kann. Obwohl man immer von Askese träumt, aber die ist nicht so. Gewisse Dinge brauche ich unbedingt, das Auto usw. Manchmal brauche ich auch gewisse Konsumräusche. Oder Reisen. Ich bin jetzt auch wieder dabei, eine kleine Studienreise nach Brasilien zu organisieren. An der Hochschule hat man die wunderbare Situation, dass man sich jederzeit wieder neue Sachen ausdenken kann. Darauf kann ich nicht verzichten. Ein gutes Umfeld, das mir ermöglicht trotz der Arbeit eine Familie zu haben. Der Semester-Rhythmus lässt einem immer wieder Luft, das betrachte ich bleibend als privilegierte Arbeitssituation.