interview

interviewer:
3.1.1. Simone Kaempf
2006-03-24


protraitbild

Jonathan Uhlaner
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Eine Art Fremdenführer für Streifzüge durch Urtexte, Ideengeschichte und ein Hinterfragen des Ganzen. Ich mache gelegentlich noch etwas an Universitäten, aber bin inzwischen zur Publizistik übergegangen. Von Haus aus bin ich Philosoph.

wann und warum wurden Sie ans ID4 berufen?
Ich habe Nick abends bei Gisela Kasten kennengelernt. In ziemlicher Partystimmung, deswegen wusste ich auch gar nicht, wie ernst seine Begründungen waren, mich ans ID4 zu holen. Ich kam frisch zurück aus Frankreich, und wir unterhielten uns darüber, was dort in der Philosophie los war, über den ganzen Tour d‘Horizon. Anfang der 90er war die Postmoderne theoretisch noch wenig rezipiert in Deutschland. Schon gar nicht im Design. Vielleicht hat ihn das interessiert, und er wollte diese Ideen am ID4 bekannt machen.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Semesterbegleitende Seminare. Nichts ganz bestimmtes. Das Thema war nicht vorgeschrieben. Ich hatte große Freiheit. Streifzüge durch Ideen-Geschichte und Ur-Texte, die natürlich mit Ästhetik zu tun hatten und manchmal auch mit Design. Designtheorie war das aber nur im allerweitestem Sinne, zum Beispiel Platons "Politeia". Manchmal ging es auch über Ästhetische Theorie hinaus.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Design war neu für mich. Alles war anders. Ich war es gewöhnt, universitäre Veranstaltungen zu halten und deswegen nannte ich meine Seminare am ID4 eben Seminare. Aber die Situation war untypisch und ganz neu. Wir saßen um einen großen Werkstatt-Tisch in einem Atelier mit Papier, Schnipseln, Werkzeuge. Ganz andere Atmosphäre. Die Studenten, die dort saßen, gingen auch mit Ideen ganz anders um: Ideen aufnehmen und gestalterisch umsetzen, statt am Ende ein Papier zu schreiben, wie ich es bis dato kannte. Ich war mit dem, was ich unterrichtete, und mit meiner englisch-sprachigen Herkunft etwas exotisch am ID4, aber diese Exotik fanden sie sehr reizend. Anfang der 90er konnte man natürlich die Wende nicht übersehen. Aber davon hat man an der HdK nichts gespürt, ich habe es dort jedenfalls nicht gespürt.

hatten sie zuvor schon kontakt zu designern?
Sozial ja. Beruflich nicht. Aber nun hatte ich mit ihrer Eigenschaft als Designer zu tun und machte Dinge, die ein bisschen abwegig vom Design waren. Auf diese Weise habe ich andere Seiten gesehen. Sagen wir so: in einem bestimmten Spektrum sind sie Künstlern viel näher als normalen Studenten. In Äußerlichkeiten wie der Kleidung und auch im Umgang im dem Akademischen und vor allem im Umgang mit Ideen.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Die Studenten waren mit kritischen Werkzeugen und Herangehensweisen wenig vertraut, und deswegen setze ich mir als mein pädagogisches Ziel, sie damit vertrauter zu machen. Einmal angeregt, konnten sie sehr kritisch sein. Und die Verankerung in historische und politische Genauigkeiten war auch ein Ziel von mir. Und ich erinnere mich, dass ich sie auch sehr praktisch orientiert fand. Ich hörte einmal. wie sie mit großer Kenntnis und großem Scharfsinn über Lebensversicherungen sprachen. Sie waren nicht ideen- oder intellektuellen-feindlich, im Gegenteil. Wahrscheinlich dachten sie nur klarer über ihre Zukunft nach als die Generation davor. Vielleicht ahnten sie auch schon, dass sie gezielt vorgehen müssen, um Erfolg zu haben.

übereinstimungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Wir haben nie mit Genauigkeit darüber diskutiert. Die Studenten kannten seine Positionen natürlich besser, ihretwegen haben sie ja bei ihm studiert. Ich habe im weitesten Sinne Ideen des Designs kontextualisiert, zum Beispiel den Begriff "Funktion" behandelt, der auch in anderen Disziplinen existiert. Welche Laufbahnen hat dieser Begriff? Wie entwickelte er sich in der Moderne, und wie entwickelte er sich bei Descartes? Das war der Spielraum. Die Freiheit, die ich hatte, war ziemlich groß. Aber keine absolute Freiheit. Denn natürlich wollte man die Entsprechungen und Interessen der Studenten treffen.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Gelegentlich. Martin Rissler kenne ich gut. Bettina Moellring natürlich auch. Gisela Kasten. Und ich treffe zufällig immer wieder welche.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Vielleicht noch ausgeklügelter vorgehen, um Texte und Designaufgaben zu verbinden. Es war ein Vorstoß in die Richtung, und die Texte wurden besser verstanden wenn sie in einen Zusammenhang gebunden wurden. Andererseits waren die Studenten manchmal auch überraschend gut in Abstraktionsleistungen von Texten.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Spontan fällt mir ein, dass ich damals auf Komitee-Sitzungen gerne hätte verzichten können.