interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-08-21





Prof. Hans Wilderotter
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Ich würde ihm erklären, dass man, um Ausstellungen machen zu können, bestimmte Prozesse kennen und bestimmte Techniken beherrschen muss. Und dass ich Museumskunde-Studenten unterrichte, um diese Kenntnisse zu vermitteln.

wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
Das war Mitte der Achtziger Jahre, und das ist eine Geschichte, die Martin Rissler vermutlich noch besser erzählen könnte. Er wohnte damals in Berlin in der Nähe vom Bundesplatz, und ich habe in einem Museum in der Bundesrepublik gearbeitet. Während meiner Berlin-Aufenthalte wohnte ich immer in der Nähe des Bundesplatzes. Einmal bin ich spät nachts in einen Waschsalon um die Ecke, und da war noch jemand, nämlich Martin Rissler. Während des Waschens haben wir angefangen uns zu unterhalten: über Design, Philosophie, Mystik, Gott und die Welt, was auch immer. Und im Laufe des Gesprächs fragte Rissler, ob ich einen Lehrauftrag übernehmen würde.

welche Aufgaben haben sie dort übernommen?
Das Thema war von Martins Seite aus, Designprozesse in allgemeine philosophische Fragestellungen einzubetten. Das habe ich dann auch gemacht. Ich war vier Mal in Berlin. Immer Kompaktkurse, die vierzehn Tage dauerten. Eine Zeit, in der wir die Lehrinhalte ohne Verschnaufpause durcharbeiteten. Danach war man fix und fertig. Es war aber auch ein intensives Arbeiten in kleineren Gruppen von zehn bis fünfzehn Studenten, die mit Überlegungen konfrontiert wurden, die eigentlich nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehörten. Das führte manchmal zu Abwehrreaktionen und häufig dazu, dass die Leute hellhörig wurden und merkten, dass sie mit den Überlegungen etwas anfangen können. Bei den philosophischen Inhalten ging es oft um die Frage von Begriff und Anschauung und darum, das auf die Gestalter zu beziehen. Wie verhalten sich Begriffe und Anschauung zueinander? Welche neueren Konzepte gibt es? Radikale Überlegungen, welche Filter eine Rolle spielen, bis man nur noch mit Begriffen hantiert und ob die Ergebnisse dieser Hantierung mit der Wirklichkeit kompatibel sind. Aber eigentlich sagen sie nichts über die Wirklichkeit aus. Also diese relativistische, phänomenologische Richtung.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Ehrlich gesagt wenig. Ich habe nur eine Gastrolle gespielt. War einmal im Semester dort und habe mit dem Studiengang und mit der HdK wenig zu tun gehabt. Zwischen Tür und Angel wurde natürlich darüber gesprochen, aber nicht so, dass sich ein festes Bild ergeben hätte.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Das kann ich schwer sagen, ich kann das nur mit meinen Studenten vergleichen. Es bestand ein großes Interesse, aber auch viel Widerspruch, aber der Widerspruch sagt nicht, dass es Desinteresse ist, sondern nur, dass man andere Meinungen hat. Meine Studenten entwickeln heute nicht in dem gleichen Maße das Interesse. Das kann, muss aber nicht mit Design zu tun haben. Kann damit zu tun haben, dass ich immer älter werde und im Laufe der Jahre verstärkt gemerkt habe, dass sich bei der jüngeren Generationen das Interesse an abstrakt-theoretischen Überlegungen verändert. Kann also gut sein, dass ich bei Design-Studenten heute auf die gleichen Schwierigkeiten stoßen würde. Wir unterrichten heute an der FHTW auch Designer, aber Kommunikations-Designer. Ich habe mit ihnen und meinen Studenten zwei Projekte gemacht, auch mit konkreten Gestaltungsaufgaben, da ging es um den Entwurf und das Konzept einer Galerie für den Flughafen Frankfurt. Aber das erlaubt keinen Schluss auf Industrie-Design-Studenten. Ich könnte mir vorstellen, dass Studenten, die damals am ID4 waren, von vornherein oder spätestens nach kurzer Zeit wussten, dass der Unterricht anders abläuft.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Der konzeptionelle Ansatz erschien mir sehr plausibel. Von Nick Roericht gab es die Überlegung, Designer sollten nicht die hundertundeins existierenden Toaster um den hundertzweiten Toaster bereichern, sondern sich mit Konzeptentwicklung befassen. Das hätte ich damals auch so formulieren können, damit stimmte ich sehr überein. Designprozesse sind in größere Zusammenhänge eingebunden, und diese Zusammenhänge müssen begrifflich erfasst werden, damit überhaupt sinnvoll entschieden werden kann, was entworfen werden muss und was nicht. Ich habe das so verstanden, dass Design in geringerem Maße, als man es sonst annehmen würde, ein künstlerischer Vorgang ist und in hohem Maße mit Reflexion und begrifflicher Arbeit zu tun hat. Wenn ich mit Kollegen aus dem Kommunikations-Design zu tun habe, ist schon deutlich, dass da ähnliche Fragen gestellt werden, obwohl es eben doch ein Unterschied ist, ob es um ID oder K-Design geht. Als Kunsthistoriker am ID4 gelehrt zu haben, war für mich auf jeden Fall eine Horizonterweiterung. Etwa acht Jahre später bin ich wieder an eine Hochschule gekommen, zwischendurch war ich an der FU und habe Ausstellungen gemacht, und das hat meinen Neueinstieg in die Hochschularbeit schon erleichtert.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Nichts dergleichen. Zwischendurch gab es Kontakte zu Martin Rissler, aber mittlerweile nicht mehr.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Vielleicht würde mich konkreter aufs Design beziehen. Und vielleicht würde ich weniger selbst reden und die Studenten mehr reden lassen. Aber das ist etwas Biografisches. Irgendwann ist man des vielen Redens müde.

wie hat sich, seit sie lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkszeug verändert?
Ich erinnere mich, dass damals, zweite Hälfte der 80er Jahre, die ersten Macs am ID4 eine wichtige Rolle spielten. Heute hat natürlich jeder Student seinen eigenen Rechner, an dem Entwurfsprozesse stattfinden. Ästhetisch ist da wahnsinnig viel passiert. Wenn ich K-Design-Studenten eine Doppelseite Blindmedium entwerfen lasse, dann habe ich das Gefühl, die drucken mir Bildschirm-Design aus.

was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Ich kann das sagen, was ich auch meinen Studenten mitgebe, obwohl sie keine Designer sind. Aber das ist allgemeingültig, weil sich bei vielen Studenten die Erwartung findet, dass sie im Studium am Ende einen Werkzeugkasten mitnehmen, der alle Probleme löst. Ich erlebe immer wieder, das unsere Studenten sagen, das hätten sie nicht gelernt. Aber es geht nicht darum, dieses oder jenes Werkzeug mitzunehmen, sondern Situationen zu analysieren, Probleme als Probleme zu formulieren und zu überlegen, mit welchen Mitteln löse ich das. Metakompetenz ist das, was man können muss und dafür muss man im Studium eine intellektuelle Flexibilität gewinnen. Ich denke, das gilt grundsätzlich auch für Designer.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Auf nichts.