interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-05-12


protraitbild

Prof. Burkhard Schmitz
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Design. 7.5 entwickelt Produkte und Prozesse. Eigentlich ist man ein Problemlöser. Ohne Probleme gibt es keine Lösungen. Zum Beispiel für einen Friseur eine Schere zu entwickeln, mit der er keine Krampfadern kriegt beim Schneiden. Design ist aus meiner Sicht das Analysieren einer Situation. In unserem Fall ist es meistens eine Arbeitssituation. Arbeitende Menschen sind oft nicht Herr der Lage, weil andere sie an den Arbeitsplatz gesetzt haben. Sie brauchen deshalb einen Anwalt, der von außen schaut, was verbessert werden kann. Wir wollen den Menschen gewisserweise helfen, über Artefakte Wohlbefinden und Komfort zu erreichen. Für meine Professur an der UdK gilt das auch. Ich versuche, den Unterschied zwischen dem, was ich mache und wovon ich predige, möglichst klein zu halten. Das hat für mich mit Glaubwürdigkeit zu tun. Wie heißt es in Amerika, wenn man daran gemessen wird, ob man die Medizin, die man anpreist, auch selber nimmt?

wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
Die Studenten kamen immer nach Ulm, und ich saß dort im Büro. Im Sommer kam jeweils eine große Truppe für eine Woche aus Berlin, und in vielen Fällen oblag es dem Büro, die Studenten zu domptieren. In der Regel hatten sie einen Kurzzeitentwurf und auf der anderen Seite natürlich viele Fragen. Wie jede Landverschickung hatte die Ulmer Woche den Vorteil, dass jeder aus seinem alten Kontext herausgerissen und in einen neuen Kontext gesetzt wurde, der heller, luftiger, süddeutscher war. Auf dem Ulmer Hügel lenkte deutlich weniger ab und die Einschaltquoten waren viel höher als in der Stadt.

welche aufgaben haben sie am ID4 übernommen?
In Berlin übernahm ich auch Kurzzeitprojekte. Die Studenten sollten ein plausibles Modell unseres Sonnensystems bauen. In der Naturwissenschaft ist ein Experiment eine Frage an die Natur. Im Design ist das Modell eine Frage an das Problem. Ziel war natürlich eine Breite von Repräsentationen des Sonnensystems: Grafisches bis Dreidimensionales bis hin zur verbalen Beschreibung als Abstraktionsform. Es ist die Natur des Modells, dass verschiedene Typen bestimmte Dinge besonders gut abbilden können. In Ulm erinnere ich mich an ein Projekt, in dem die Studenten Symmetrieoperationen an einfachen Werkzeugen ausprobierten, die sie aus Schaumstoff nachbauten. Zangen, Hämmer usw., die verzerrt, gestreckt, geschert wurden.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Als ich Diplom gemacht hatte, bot mir Roericht eine Mitarbeiterstelle an oder im Büro zu arbeiten. Ich habe sofort gesagt, ich will ins Büro, ich will mit der Schule nichts mehr zu tun haben. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich wieder für die Schule interessiert habe. Die Praxis fand ich faszinierender, und ich konnte nicht verstehen, dass Dinge in der Schule so viel länger dauerten, die man im Büroalltag an einem Tag erledigt. Deswegen war ich am Anfang ein denkbar schlechter Lehrer, weil ich extrem ungeduldig war. Jetzt bin ich seit 16 Jahren an der Hochschule, aber erst seit sechs, sieben Jahren so relaxed, dass ich gut damit umgehen kann. An der Lehre ist im Gegenzug immer interessant, dass man ein paar Sachen grundsätzlicher machen kann.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Meine Erinnerung ist an dieser Stelle nicht sehr präzise, weil das schon sehr lange her ist. Heute kommen die Studenten immer jahrgangsweise an die UdK, und jeder Jahrgang verbreitet eine andere Stimmung. Manchmal hat man Superfleißige, die alles richtig machen wollen. Und im nächsten Jahr hat man Rebellen vor sich, die die Welt verändern wollen.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Als ich in den Medien erfahren habe, dass Berlin Design-Stadt ist - wurde, klar, von der Unesco entschieden - dachte ich, dass Nick das wohl nicht geplant hat, aber dass das zum großen Teil sein Ergebnis ist. Bis zu dem Zeitpunkt, wo er aufgehört hat, war man 300 Kilometer von überall. Alle anderen namhaften Design-Standorte der Bundesrepublik und der DDR saßen in der Nähe einer Industrie, die das Design nachgefragt hat. Ich glaube, dass Nick damit auch zu kämpfen hatte. Und was er daraus entwickelt hat, war so etwas wie ein Autorendesign. Der Designer als Entwerfer und zum Teil auch Realisierer, der nicht auf den Produzenten wartet. Sondern selbst tätig wird. Die, für die das heute noch gilt, mögen sehr unterschiedlich sein, aber Design ist für sie keine Dienstleistung, sondern eine selbstständige Autorenleistung. Zu dieser Autorenschaft gehört auch ein Anspruch, den man an sich selbst stellt und ein Anspruch, den zunächst er an einen stellte. Genau dieser Anspruch war oft Konfliktstoff und Grund, sich über ihn zu ärgern.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Grob sind die Kontakte immer noch die gleichen geblieben. Da hat sich nicht viel geändert.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Es gibt ganz viel in meinem Leben, was ich ändern würde, aber was ich beruflich mache, finde ich ganz toll. Und selbst wenn ich was wüsste, würde ich darüber nicht reden.

haben sie etwas in ihren arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
Ganz, ganz viel. Ich würde nicht die Rechtsnachfolge für mich in Anspruch nehmen, aber ich sehe mich in der Tradition und fühle mich ihr verpflichtet. Typisches von Nick habe ich ident übernommen: den Brief an die Großmutter oder den Sprung in die Sache. Und aus einem Zitat von ihm habe ich eine Übung gemacht. Samstag Vormittag im Ulmer Büro, als wir auf ein Modell von Schreinermeister Renz warteten oder so, hat er gesagt: "Design dreht sich abstrakt gesehen darum, wie höre ich auf, wie komme ich von A nach B und wie komme ich um die Ecke." Auf syntaktischer Ebene. Das hat mich sehr beeindruckt, und ich habe es als feste Übung aufgebaut. Wie höre ich auf, wie komme ich von A nach B und wie komme ich um die Ecke? Studenten müssen das bei mir im dritten Semester mit allen möglichen Figuren bis zum Erbrechen üben.

wie hat sich, seit sie lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkzeug verändert?
Früher haben wir beim Zeichnen immer gedacht, dass das bestimmt mal der Computer übernehmen wird. Heute machen wir im Prinzip alles mit dem PC. Dadurch hat sich natürlich einiges geändert, nicht nur zum Besten. Auf der anderen Seite ist der Modellbau von Hand geblieben. Wenn überhaupt hat sich Beschleunigung eingestellt. Jedenfalls wird bei uns im Büro noch gebaut. Wir sourcen das nicht aus, wie ich es aus vielen großen Büros kenne. Das habe ich auch von Nick gelernt. Ein berühmter Spruch von ihm lautete, alles was Dir mit dem Modell passiert, wird Dir später mit dem Original auch passieren. Als Hauptunterschied zur Architektur glauben Designer nicht an Planung und versuchen, sich von einer Erfahrung zur nächsten zu hangeln und besser und präziser zu verstehen, worum es geht.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Wie fast alle Disziplinen entwickelt sich sie sich immer stärker auseinander. Irgendwann war Design mal begründet als Gegengewicht zur Entropie der Spezialisierung. Damit im ästhetischen Bereich alle Fäden zusammenlaufen. Aber dann hat sich die Wissenschaft als unfähig erwiesen, weiter in die Black Box einzudringen. Das, was wir schön finden, dass, was wir interessant finden und wie wir das finden, ist uns weitgehend unbekannt. Im Ausland sieht man es noch stärker. Von Event-Agenturen bis zur Benutzoberflächen-Entwicklung differenzieren sich neue Teilgebiete, die es früher noch nicht gab.

knüpfen sie hoffnungen oder befürchtungen daran?
Beides. Es ist wie das Wetter. Ich kann es gut finden oder nicht, das Wetter wird das nicht beeindrucken. Jegliche Form der Spezialisierung hat den Vorteil, dass etwas zu einer noch höheren Form findet und den Nachteil, dass an anderer Stelle etwas verloren geht. Aber das zu bedauern, finde ich unangebracht.

wie kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
In den Masterstudiengängen muss es irgendwann gelingen, begründbare Teile dieser Spezialisierung nachzuvollziehen, ohne dass man den Anspruch des Designers als selbstverantwortlicher Autor aufgibt.

worauf könnten Sie leicht verzichten?
Es gibt Tage, da haben wir in Ulm gesagt, Design könnte so sehr schön sein, wenn es keine Klienten gebe. Was aber auch nicht stimmt, weil es Klienten gibt, die sehr inspirierend und gut sind.