interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-06-27


protraitbild

Prof. Inge Sommer
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Zunächst bin ich Entwerferin, manchmal bin ich Goldschmiedin, manchmal berate ich Firmen, manchmal leite ich ein Institut, und ich arbeite an verschiedenen Buchthemen, in denen es um kulturelle Unterschiede und differenziertes Handeln geht. Indem ich entwerfe, denke ich über neue, veränderte Formen des Handelns nach und versehe sie mit den Dingen/Werkzeugen/Utensilien/Hilfsmitteln, die ein vielfältiges und differenziertes Umgehen ermöglichen. Die Dinge an sich bedeuten mir wenig, ich finde sie nur in Bezug auf die Menschen und die Möglichkeiten, die sie ihnen eröffnen, interessant. In erster Linie und am liebsten lehre ich entwerfen, ich bin also eine Entwerferin, die über das Entwerfen und seine Methoden und Strategien reflektiert und den Versuch macht, diese zu vermitteln.

wann und warum wurden sie ans ID4 geholt?
Ich wurde nicht geholt, sondern kam als Studentin im 3. Semester in diese Entwurfsgruppe.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Studentin, dann Tutorin. Mitwirkung an Studien für Bosch, Siemens, Wilkhahn. Dann verschiedentlich Lehraufträge: der Schwerpunkt war konzeptionell, z.B Themen, die sich mit der Kommunikation der Dinge auseinander setzten. Das Denken in Möglichkeiten wurde geübt am Beispiel einer Untersuchung zur vielfältigen Präsentation von Schuhen. Der öffentliche Raum diente als Projektionsfläche für neue Nutzungen (my space, our space, common space).

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Anfang der 80er Jahre: Zeit des Aufbruchs, der Suche nach neuen Zielsetzungen für die Profession. Der Funktionalismus war ausgeknautscht und vielfach kommerziell missbraucht. Die Industrie festgefahren, deren Fertigungsstraßen riesig und unflexibel. An dieser Stelle läutete Nick Roericht gemeinsam mit Gise Kasten und Andreas Brandolini die Suche nach neuen Wegen des professionellen Selbstverständnisses ein. Studentische Experimente und Erprobungen neuer Berufsrealitäten. Von der Vorstellung in die Darstellung: schnell in die Gefilde gehen, wo man die Dinge ausprobiert und sichtbar macht. Designer als Realisierer, Designer als Produzenten und Vertreiber, Designer als Partner von Wissenschaft.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Alles ist möglich! Wir gestalten unsere Zukunft selber! Projekte wie "Viele Wege führen nach Rom" mündeten in der Ausstellung "1 2 3 Eierbecher", die internationales Interesse fand. Während man zuvor nach dem einen ultimativen Entwurf strebte, wurde hier der Tatsache Rechnung getragen, dass es viele unterschiedliche Bedürfnisse und Kontexte gibt, selbst bei niederkomplexen Handlungen wie dem Eieressen. Das erste Readymade Projekt "Dinge unter 100 DM" initiiert von Andreas Brandolini und Jasper Morrison mündete in der Verkaufs-Ausstellung "Kaufhaus des Ostens", die im KDW debütierte. Hierbei ging es darum, die Industrie-Konkurrenz mit den eigenen Waffen zu schlagen. Zu viert haben wir uns - vier Studenten - noch während des Studiums mit dem Büro Berlinetta selbstständig gemacht. Das hieß Arbeitsstrukturen entwickeln, Zukunft gestalten wollen, an Zukunftsstudien arbeiten.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Nick Roericht hat unser Unbehagen über die Aussichtslosigkeit verändernder Aufgabenstellungen aufgenommen und in eine Kraft, Widerstandskraft überführt. Es hat Spaß und Lust gemacht, wir kamen uns vor wie die Pioniere auf der Suche nach neuen Wegen. Die Welt stand uns plötzlich offen, auch wenn sie zunächst gar nichts von uns wissen wollte. Wir konnten sie verändern - das ist die allerwichtigste Botschaft, die er uns als authentischer Sucher vermittelt hat.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Jahrelange enge Zusammenarbeit mit Gise Kasten, Kooperationsprojekte an der Hochschule mit Kollegen wie Egon Chemaitis, Burkhard Schmitz, Karin Schmidt-Ruhland.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Das Studium bei Nick habe ich niemals bereut, meine anschliessenden Arbeiten bei Berlinetta waren eine konsequente Fortführung dieser idealistischen Haltung. Die Hochschule als Experimentierfeld in meine Praxis einzubeziehen war von Anfang an absehbar und folgerichtig, jedoch der Ort hätte ein anderer sein können, nach dem Motto: der Prophet gilt im eigenen Lande nichts.

haben sie etwas in ihren arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
Etwas, was bei Nick in dieser Zeit angefangen hat, habe ich in meiner Zusammenarbeit mit der Wahrnehmungs- und Handlungspsychologin Gise Kasten weiterentwickelt: nicht in Dingen denken, sondern in Tätigkeiten, in Wirkungen denken und entwerfen. Genau hinschauen und Worte finden für das, was man sieht, eine wichtige Botschaft, die speziell durch Gise in die Fachgruppe getragen wurde.

wie hat sich, seit sie arbeiten/lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkszeug verändert?
Die Welt ist arbeitsteiliger geworden, Spezialistentum ist gefragt. Spezialisten aber mangelt es häufig an Über- bzw. Weitblick. Was mehr und mehr fehlt sind die Leute, die noch ein Gefühl für das Ganze haben und Methoden und Strategien beherrschen, Komplexitäten überschaubar und händelbar zu machen.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Siehe oben.

knüpfen sie hoffnungen oder befürchtungen daran?
Die kulturellen Unterschiede gehen mehr und mehr verloren, die kulturell unterschiedlichen Antworten auf die immer gleichen Fragen nach der Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse des Menschen, mit denen auch die Designer zu tun haben, passen sich mehr und mehr den internationalen Standards eines global orientierten Marktes an. Es lebe der Unterschied!!! Den Unterschied nicht wegmachen, sondern wahrnehmen, voneinander lernen. Das bezieht sich nicht nur auf Länder und ihre kulturellen Unterschiede. Auch zwischen den Geschlechtern tun sich Lücken und Unterschiede im Handeln auf. Spannend wird es immer da, wo aus der Unterschiedlichkeit etwas Neues entsteht, das die Vorzüge beider Seiten nutzt. Ein Beispiel, an dem das deutlich wird, ist das häufig differenzierte Verhalten von Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich deutlich dem männlichen oder dem weiblichen Gestus anzuschliessen. Sie kreieren etwas Neues, das häufig sehr lebendig und klug ist.

was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Design yourself ... eine gute Haltung muss her. Der Designer nicht als Handlanger, sondern als Veränderer, als jemand, der etwas bewirken kann, der sich bewusst ist, dass er an der Zukunft verantwortlich mitgestaltet und eine Idee davon hat, welche Zukunft wünschenswert sein könnte. Vergleichen und unterscheiden lernen, differenziert denken und gestalten lernen. "Kühlen ohne Strom" war ein Projekt zusammen mit Gise Kasten, das nach differenzierteren Möglichkeiten des Kühlens suchte. Auf der ganzen Welt gibt es die Idealvorstellung vom Kubikmeter Kühlraum, der universell jede Lebenssituation begleitet. Beim Thema Mobilität ist es ähnlich. Es geht nicht um die Frage, Auto ja oder nein. Wenn ich Menschen die Möglichkeit biete, ihre Mobilität differenziert zu gestalten, erziele ich am ehesten eine Wirkung, die auch umweltbewusst sein kann.

worauf könnten sie leicht verzichten?
Handy und sonstige unnütze Geräte, die unsere Umwelt akkustisch und ökologisch belasten (Brotschneidemaschinen, Kaffeemaschinen, ...) und uns selber unserer manuellen Fähigkeiten berauben.